Hecht, Egli, Rapfen, Zander und selbst Friedfische schlagen sich jetzt die Bäuche mit kleinen Weissfischen voll. Servieren Sie ihnen also passend zum Angebot des Tages «Fingerfood» – kleine Streamer, kürzer als der kleine Finger Ihrer Hand, fangen wie der Teufel.
Wasser spritzt, kleine Fische fliegen durch die Luft, es raubt an allen Ecken und Kanten – und ich verzweifle! Wieder fliegt mein handlanger Streamer ins Getümmel, wieder strippe ich ihn zügig heran, wieder passiert … nichts! Wieder raubt es direkt an der Kante, eine grosse Bugwelle rauscht durch den Kleinfischschwarm, der fächerförmig auseinanderspritzt. Zum x-ten Mal ziehe ich die Streamerbox aus der Weste in der Hoffnung, dass ich vielleicht irgendwo zwischen den grossen Hechtstreamern doch noch einen meiner Winzlinge finde. Natürlich weiss ich, dass im Spätsommer bis in den Herbst hinein kleine Streamer ausgezeichnet fangen – blöd, dass ich ausgerechnet meine «Brut-Box» nicht dabei habe. Sie steht äusserst dekorativ auf dem Schreibtisch im Keller. Vergessen, im Eifer des Gefechts. Ich könnte mich ohrfeigen für diese Dämlichkeit…
Hemmungslose Hechte, Egli ohne Manieren
Kurzer Blick aufs Handgelenk: 17 Uhr 30. Hmmmm … 40 Minuten nach Hause, 40 Minuten wieder her, zwei Minuten zum Holen der Box und drei Minuten für «Was machst Du denn schon wieder hier?» «Hab was vergessen»-Gespräch zwischen Tür und Angel. Das wird knapp, Sonnenuntergang ist gegen 20 Uhr, also los! Die Landschaft rauscht an mir vorbei, während ich versuche, das Rauben einzuordnen. Die Bugwelle war ein Rapfen, definitiv, für einen Egli zu gross. Und an der kleinen Steinpackung? Könnte auch ein Hecht gewesen sein. Das wiederholte Jagen im Kehrwasser? Egli, ziemlich sicher. Aber wer weiss, manchmal räumen auch Alet und sogar grosse Rotfedern regelmässig unter den Kleinfischen auf.
Hecht und Egli, Rapfen und Zander haben keinerlei Fressbremse, wenn es um dieses «Fingerfood» geht. Sie alle stopfen sich hemmungslos mit den nicht einmal fingerlangen Fischlein voll. Vor einigen Jahren fing ich einen 70er-Hecht, der sage und schreibe 128 (!) kleine Rotaugen im Magen hatte – masslos! Besonders Egli fehlt jegliche Manier, sie haben den einen Bissen noch nicht geschluckt, da haben sie schon den nächsten im Maul – noch zwei Fischlein im Schlund und schnell dem Streamer hinterher.
Selbst «Veggies» langen jetzt mal richtig zu
Rapfen sind nicht ganz so ungehemmt, aber dennoch ganz schön draufgängerisch, wenn es um die leckeren Snacks geht. Interessant ist dabei, dass auch die Rapfen jetzt bis in die späte Dämmerung hinein jagen und man beim Befischen der grossen Flüsse nie genau weiss, ob man direkt an der Steinpackung Rapfen oder Alet fängt.
Neben diesen klassischen Raubfischen verlieren auch die «Veggies» ihre Hemmung und naschen jetzt häufiger mal den einen oder anderen Jungfisch weg. Dem Alet gesteht man dies ja noch zu, doch auffällig oft langen jetzt auch grosse Rotfedern herzhaft zu. Es gibt kaum einen Fisch, der diesem leckeren Angebot der Saison widerstehen kann. Kein Witz – ich habe in den letzten 20 Jahren sogar zwei Aale mit Mini-Streamern erwischt, sauber im Maul gehakt!
Fingerfood – einfach, leicht und perfekt serviert
Angenehm bei der Fischerei mit den kleinen Streamern: Man kommt mit einer 6er-Rute und einer Schwimmschnur aus. Das reicht, um die Fingerlinge werfen und die zu erwartenden Fische drillen zu können. Die Spitze des Vorfachs sollte jedoch nicht zu dünn sein, 0,25er ist das Minimum, 0,28er ist mein persönlicher Standard bei dieser Fischerei. Besonders Rapfen kacheln derart heftig auf den kleinen Streamer, dass ein dünnes Vorfach unter der Wucht des Bisses reisst.
Ist mit Hechten zu rechnen, müssen wir ein Stahlvorfach montieren, 0,15er oder 0,18er reicht aus. Hardmono wäre für die kleinen Streamer zu massiv.
Zu den Streamern: Helle Muster, die die Länge Ihres kleinen Fingers haben, sind gut und werden fangen. Weiss ist eine meiner liebsten Farben, dazu ein wenig Glitzer plus grosse Augen, fertig ist der Jungfisch. Auf Details kommt es kaum an, ausser, Sie fischen in sehr klarem Wasser. Normalerweise reichen ein Bündel weisse Kunststofffasern und zwei Augen, um einen Jungfisch zu imitieren, wobei ich auf die Augen besonderen Wert lege. Bei kleinen Fischen sind die Augen im Verhältnis besonders gross und das ist ein Schlüsselreiz für Raubfische. Einer meiner Lieblingsstreamer ist der «Trout Foil Minnow» mit Epoxykörper, der mit «Fleye Foils» gebunden wird – echter sieht auch ein echter Jungfisch nicht aus.
Na bitte, mit Fingerfood gehts doch!
Gut eineinhalb Stunden später stehe ich, leicht abgehetzt, aber mit den richtigen Fliegen, wieder am Wasser. Erleichtert sehe ich, dass die Raubfische noch immer nicht satt sind. Für uns ein Vorteil, wenn sie hinter den kleinen Fischen her sind…
Zehn Meter neben mir spritzen Jungfische auseinander, einige der Winzlinge landen sogar auf den Steinen der Uferbefestigung! Wieder rauscht eine Bugwelle Richtung Ufer, da will es aber einer wissen! Zwei, drei Züge, schon fliegt der Mini-Streamer, landet dicht am Ufer. Schnell strippe ich die Schnur mit kurzen, nur etwa zehn Zentimeter langen Zügen ein. Nichts. Nächster Wurf. Wumms! Beim zweiten Zug knallt es! Der Fisch schiesst sofort ins Tiefe und die 6er-Rute verneigt sich vor dem Zug. Kein Riese, aber ein guter Fisch. Nach kurzem Hin und Her taucht er vor mir auf. Ah, dachte ich es doch, ein Rapfen. Fast scheint es, er fixiert mich, funkelt mich böse an. Ja, mein lieber Freund, hättest du die Kleinen in Ruhe gelassen, wäre dir diese Erfahrung erspart geblieben…
Die nächsten zwei Stunden sind kurzweilig, zwei weitere Rapfen und drei schöne Egli vertreiben mir die Zeit. Die Zander, auf die ich spekuliert hatte, lassen sich leider nicht blicken. Wahrscheinlich treiben die sich heute in irgendeinem andern Gewässerteil umher. Macht nichts, ich komme wieder – und die Räuber garantiert auch, denn noch ist der Tisch mit «Fingerfood» mehr als reich gedeckt.
Michael Werner





